Am Montagabend machte ich mich auf den Weg ins Babylon zur Filmpremiere des Dokumentarfilmes „Einzelkämpfer“. Erst letzte Woche hatte ich von diesem Film erfahren und entwickelte sogleich ein großes Interesse an dieser Dokumentation über ehemalige DDR-Sportler.
Dieses Interesse ist nicht nur bedingt durch mein Interesse an Sport, sondern auch durch meine persönliche Geschichte. „Einzelkämpfer“ porträtiert vier Sportstars der ehemaligen DDR. Auch ich bin in dem Land, welches an sich klein, aber bei den Sporterfolgen sehr groß war, aufgewachsen. Ich erinnere mich noch an die Maßnahmen zur Sportförderung – angefangen vom systematischen Screening aller Kinder, bis hin zu Trainingszentren und Sportschulen – und an die Idealisierung von Sportlern, wie Marita Koch oder Udo Beyer. Das auch noch andere Faktoren eine große Rolle im DDR-Sport spielten, hatte ich als Kind noch nicht geahnt …
Meine damalige Lust zum Laufen wurde durch den ersten Crosslauf in der Schule geweckt und ich wollte unbedingt dem örtlichen Leichtathletikverein beitreten. Und schon bald stand regelmäßiges Training auf dem Plan und das Wochenende verbrachte ich oft auf Wettkämpfen. Als das oben erwähnte Screening stattfand, war ich schon längst Mitglied im Trainingszentrum Leichtathletik. Hierfür gab es sogar extra eine Berufungsurkunde, auf die ich damals sehr stolz war. Andere Mitschüler hingegen erhielten Empfehlungen für Handball oder auch Wintersport.
Meine Paradedisziplinen waren damals Weitsprung und Sprint (60 m) und ich hatte viel Spaß dabei. Aber das allergrößte Talent war ich dann wohl doch nicht, denn für eine Sportschule hat es nie gereicht 🙂 Irgendwann hörte dann der Spaß auch auf und ich empfand das häufige Training als zu anstrengend und so war nach ca. fünf Jahren Schluss mit meiner Sportlerlaufbahn.
Die vier Protagonisten in „Einzelkämpfer“ waren deutlich talentierter und hatten auch mehr Biss. Brita Baldus wurde die beste Wasserspringerin der DDR, Ines Geipel lief mit der 4 x 100 Meter Staffel Weltrekord, Udo Beyer war dreifacher Weltrekordler und Olympiasieger und Marita Koch die beste 400 Meter Läuferin aller Zeiten. Unbestritten spielte Doping eine große Rolle im DDR-Sport, auch wenn dies erst so richtig nach dem Ende der DDR ans Licht kam.

von links: Ines Geipel, Sandra Kaudelka, Brita Baldus
In „Einzelkämpfer“ ist übrigens viel von Sandra Kaudelkas persönlicher Geschichte zu finden. 1979 geboren besuchte sie ab der 4. Klasse eine Sportschule für Wasserspringen und brachte es sogar bis zur DDR-Meisterin (1989). Auch wenn der Gewinn dieser Meisterschaft für sie persönlich einer der schönsten Sportmomente war, so gab es doch genauso Momente, die sie in sehr negativer Erinnerung behält. Sehr oft hatte sie vor dem Sprung vom 10-Meter-Brett große Angst und diese wurde noch verstärkt durch kleine Unfälle, bei denen ihr Kopf Bekanntschaft mit dem Brett machte. Für sie persönlich war die Wende eine Erlösung von den sportlichen Erwartungen an sie.
Sandra Kaudelka wollte mit „Einzelkämpfer“ einen Film abseits vom Thema Doping produzieren – einen Film, in dem die Menschen hinter den damaligen Spitzensportlern gezeigt werden. Zunächst standen Udo Beyer und Brita Baldus als Protagonisten fest, später folgten Ines Geipel und Marita Koch. Unterschiedlicher hätten die vier Sportler nicht sein können: Da ist zum einen Ines Geipel, die ein Bundestverdienstkreuz für ihr Engagement um die Aufarbeitung von Doping in der DDR erhielt. Und dann ist da Udo Beyer, der nicht nur ganz offen über sein eigenes Doping sondern auch über die Privilegien als Spitzensportler der ehemaligen DDR spricht. Interessant auch seine Aussage, dass Leistungssport in der DDR eigentlich Kapitalismus im Sozialismus war. Die einzige Protagonistin, die das Thema Doping (jedenfalls vor der Kamera) nicht erwähnte, war Marita Koch.

von links: Sandra Kaudelka, Brita Baldus, Ines Geipel, Martin Heisler
Insgesamt vier Jahre dauerten die Dreharbeiten zu diesem Film und Sandra Kaudelka hat viel Herzblut hinein gesteckt. Der bewegenste Moment bei den Dreharbeiten war für sie als Udo Beyer über den Tod seines zweites Kindes berichtete. Diese Szene ist im Film dann auch nicht zu sehen. Sehr bedrückend, und das nicht nur für sie, waren die Schilderungen von Ines Geipel zu den Verstümmelungen, die ihr bei einer Operation zugefügt wurden.
Für mich persönlich war „Einzelkämpfer“ ein sehr bewegender Film – ein Film, der mich nachdenklich gemacht hat. Wie hätte man selbst in der damaligen Situation reagiert? Wie wäre man mit dem Druck umgegangen und wie mit seinem Gewissen?
Mein Dank geht an Sandra Kaudelka für das sehr offene und interessante Gespräch!
Klingt sehr interessant – ich als Kind der BRD, mit Schwimmen als Leistungssport, habe in den 70er und 80er mit Neid auf die Ergebnisse der DDR-Schwimmer geschaut. Dieser systematische Aufbau und die Auswahl fand so natürlich in der BRD nicht statt – kein Wunder, dass viele Erfolge ausblieben. Gedopt wurde aber auch hier, auch in der Leichtathletik gibt es bis heute vertuschte Fälle, die nicht thematisiert wurden. Gut, wenn Filme und TV-Dokumentationen (siehe auch Hans-Georg Aschenbach, damals Weltklasse-Skispringer und nach seiner Offenlegung der Dopingpraxis gemieden / isoliert) Vergangenheitsbewältigung betreiben.
Nach diesen ernsten Worten nun noch *schmunzel* – ich wußte gar nicht, dass in der DDR ein Sprint über 60 „km“ ging, liebe Manu!
By: Anette (diesmal ohne Iwan) on Oktober 15, 2013
at 6:47 pm
Ja, die Thematik fand ich sehr spannend und ich werde mal nach weiteren Dokumentationen dazu Ausschau halten.
Oh, sorry – der Fehlerteufel hatte sich da wohl eingeschlichen … Sprints über 60 km gab es noch nicht einmal in der DDR …
By: Manu on Oktober 16, 2013
at 5:38 am
Danke für den sehr ausführlichen Bericht zu diesem Dokumentarfilm. 🙂
Ich trainierte zwar damals als Kind auch in der Leichtahletik, aber bei mir reichte es nicht mal für dieses Screening. Bei mir blieb es bei Wettkämpfen nur im Regionalbreich. Aber wir hatten auch 2 Jungs in der Klasse, die es bis auf die Sportschule geschafft haben…
Du hast mit deinem Bericht auf alle Fälle mein Interesse für diesen Film geweckt, der mir noch gar nicht bekannt war. Hoffentlich bietet sich mir irgendwann mal die Gelegenheit, den Film zu sehen. Und sei es im TV… 🙂
By: Dany on Oktober 15, 2013
at 7:11 pm
Ist ja interessant, dass Du auch als Kind schon Leichtathletik betrieben hast! Ich hoffe, dass sich eine Gelegenheit ergibt, dass Du den Film auch sehen kannst. Er soll wohl auch in ein paar Monaten auf DVD erscheinen.
By: Manu on Oktober 16, 2013
at 5:37 am
Ein sehr berührender Film, deine Zeilen konnten richtig gut die Magie der Leinwand vermitteln. Ich finde es schade, dass es so viele gute Läuferfilme gibt, die hier in Österreich quasi nie das Licht der Welt erblicken. Selbst „Sein letztes Rennen“ findet man hier nur schwerlich.
Natürlich gibt es viele auf DVD – „Einzelkämpfer“ später hoffentlich auch – aber die gehen oft unbemerkt an mir vorbei. Umso mehr freue ich mich, dass ich jetzt dadurch aufmerksam wurde.
By: markusrennt on Oktober 21, 2013
at 8:23 am
Ja, ich bin in der glücklichen Lage, dass in Berlin so fast jeder Film zu sehen ist … „Einzelkämpfer“ soll wohl in einigen Monaten auf DVD erscheinen.
By: Manu on Oktober 21, 2013
at 4:31 pm